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Forschungsprogramm des GRK 2196 „Dokument – Text – Edition“

(2. Förderphase, Oktober 2020 – März 2025)

Forschungsidee/Leitthema des Kollegs

In allen historisch-philologisch arbeitenden Wissenschaften bilden Texte den maßgeblichen Orientierungsrahmen des Forschens und Lehrens. Für diesen fragt die Forschung zwar nach der Formung durch Vorlagen und Quellen, doch nicht immer und nicht in allen Disziplinen nach der Formung durch den editorischen Akt. Dessen Ergebnis bleibt häufig genug unhinterfragt, das editorische Zustandekommen der Texte, auf die man sich bezieht, zu weiten Teilen innerdisziplinär und über Fachgrenzen hinweg unreflektiert. Dementsprechend wurde die Editorik lange Zeit häufig als bloße Hilfswissenschaft betrachtet. Doch in den letzten rund dreißig Jahren bildete sich ein in den einzelnen Fächern unterschiedlich ausgeprägtes Bewusstsein dafür heraus, dass Editionen die auf ihnen aufbauenden wissenschaftlichen Folgearbeiten und Forschungsperspektiven maßgeblich prägen (PLACHTA 2012, HARRISON/ STRAY 2012, SCHAPS 2011, SCHIEFFER 2007 u. 1999, RÖMER 2005, BISCHOFF 2005, ROLOFF 2003, EHLERS 2003, PLACHTA/VAN VLIET 2000, MÄRTL 1996). Dabei unterscheiden sich editionstheoretisch-allgemeine und fachspezifische Überlegungen sowie Praxis und Stellenwert des Edierens zwischen den Fächern teil-weise erheblich. Neben der Anwendung historisch gewachsener Methoden aus verschiedenen Schulen und einer Fülle von einzelfallorientierten Ansätzen stehen die Suche nach und die Auseinandersetzung mit theoretisch breiter fundierten verallgemeinernden Modellen aus der stark interdisziplinär und international ausgerichteten digitalen Editorik. Angestrebt wird zudem die Nutzung von Verfahren aus dem Data & Knowledge Engineering, dem Text Mining, der Computerphilologie/Computerlinguistik, die gemeinhin auf „plain text“ und größere Corpora oder Datenbestände aus dem „Big Data“-Bereich aufsetzen, hier aber auch für die besonderen Herausforderungen – etwa komplexe Textrepräsentation und medial gestaltete wissenschaftliche Editionen – fruchtbar gemacht werden sollen.

Diese methodische Polyphonie ist im Graduiertenkolleg Dokument – Text – Edition zum Ausgangs-punkt der gemeinsamen Arbeit gemacht worden und auch in der zweiten Förderperiode tragend. Ziel ist es, die editorischen Methoden in den Fokus eines interdisziplinären Dialogs zu stellen und dabei ebenfalls die informations- und medientechnologischen Neuerungen der letzten Jahre apparativ wie konzeptionell sowohl für die Erstellung wie Nutzung der Editionen in den Blick zu nehmen. Dazu sollen editionswissenschaftliche Fragen nicht nur interdisziplinär diskutiert, sondern auch die Veränderungen durch digitales Edieren besonders beachtet und in die Arbeit des Kollegs eingebunden werden. Im Mittelpunkt des Kollegs steht daher die interdisziplinäre Hinterfragung der je fachdifferenten und fachintern unterschiedlichen Methodiken des ja nur scheinbar objektiven Aktes der Edition zum Zweck einer Systematisierung des gesamten Spektrums editorisch handelnder Wissenschaftsdisziplinen.

Zu betrachten ist folglich, wie Theorie und Praxis des Edierens und die fachwissenschaftliche Beschäftigung mit den edierten Texten historisch und aktuell zusammenhängen (BEIN 2010). Im Rahmen des so konzipierten Forschungsprogramms lassen sich empirisch in den Einzelfächern verankerte und theoretisch fundierte, transdisziplinäre Vorgehensmodelle für die Editionswissenschaft erarbeiten, die um die drei Leitbegriffe Dokument, Text und Edition gruppiert sind. Dazu bietet die Bergische Universität Wuppertal ideale Voraussetzungen, da sie auf eine lange Tradition der Editionstätigkeit verweisen kann, aktuell herausragende Editionen betrieben werden und die Berufungspolitik der letzten Jahre bewusst dieses Profil in Forschung und Lehre weiter ausgebaut hat. Institutionell hat diese Schwerpunktsetzung mit der Gründung des Interdisziplinären Forschungszentrums für Editions- und Dokumentwissenschaft (IZED) und mit Blick auf die Lehre im gleichnamigen Master ihren Rahmen gefunden.

Gegenstand der Arbeit im Kolleg ist die Reflexion editorischer Einzelfallentscheidungen der am IZED beteiligten Fächer sowie die Identifikation und Beantwortung theoretischer Grundfragen, komplementiert durch fachspezifische praktische Editionsprojekte, die nicht allein Editionen sind, sondern zugleich ihre methodisch-theoretischen Prämissen extensiv reflektieren und explizieren. Die Umsetzung der Forschungsidee muss theoretisch und praktisch erfolgen, um der Besonderheit der Editorik Rechnung zu tragen, nämlich ihrer Doppelgesichtigkeit als wissenschaftlich-theoretische Disziplin sowie als editorisches Handeln.

Als besonders fruchtbar für den interdisziplinären Dialog erwies sich der Dokumentbegriff, da die Diskussionen über seine Klärung die zentralen Fragen des gesamten Graduiertenkollegs in konzentrierter Form vor Augen gestellt haben. Entscheidend war dabei über die Fächergrenzen hinweg die Überlegung, welche Bestandteile eines Dokuments für den Editor überhaupt als relevant eingestuft werden. Zählen allein die Informationen, die formalisiert und maschineller Bearbeitung unterworfen werden können und aus diesem Grund im Fokus der Disziplinen liegen, die sich vor allem mit formaler Modellierung beschäftigen (Medientechnologie, Knowledge Engineering, Digital Humanities)? Inwieweit können formale und materielle Elemente eines Dokuments (Schriftart, Trägermaterial, Farben usw.) als Information gelten? Wie geht man mit Bildern und bildnerischer Gestaltung um, die (algorithmisch) schwieriger auszuwerten sind?

Hier zeigte sich in der Diskussion, dass es Fragen gibt, die sich die unterschiedlichen Fächer in identischer Form stellen, dass die Antworten auf diese Fragen jedoch – je nach Fach und Erkenntnisinteresse – mitunter höchst unterschiedlich ausfallen können. Die transdisziplinäre Arbeit konnte ideal an die Sammlung einer Vielzahl von Sichtweisen und Möglichkeiten anschließen, sodass der Dokument-begriff zugleich an Dimensionen und an Schärfe gewinnen konnte.

Daraus resultiert eine nicht reduzierbare Pluralität von Textbegriffen: Neben dem statischen Charakter von Text, der sich durch seine Fixierung auf einem Textträger ergibt, wird zugleich dessen dynamischer bzw. fluider Charakter, der sich in der Gesamtheit der je historisch spezifischen Überlieferung und der stets perspektivierenden Überführung von Manuskripten in edierte Inhalte manifestiert, ernst genommen (MARTENS 1991). Aus diesem Grund stehen Texte vorrangig in ihrer prozessualen Dimension und in ihren je materialen und medialen Ausdrucksformen im Mittelpunkt (KOCHER/SCHULZ 2019, Makrokommentar, LUKAS u. a. 2014, BOHNENKAMP 2013, SCHUBERT 2010, RÖCKEN 2008, KOCHER 2007, NUTT-KOFOTH 2006 u. 2005, RANFT 2003, GRÉSILLON 1999, ZELLER/MARTENS 1998) – einschließlich graphischer und bildlicher Elemente (die durch die Einbeziehung der Kunstgeschichte in der zweiten Förderperiode stärker fokussiert werden können). So kann sich der Blick auf die Wandelbarkeit von Texten richten, also auf deren Genese und ihre intra- oder intermedialen Transformationsprozesse.

Eine auf das Dokument ausgerichtete Editorik schärft den Blick nicht nur für das zu Edierende, sondern auch für Editionen als Ausgabeformate, welche die nutzerseitige Textwahrnehmung gleichermaßen durch ihre jeweiligen wissenschaftlich-inhaltlichen Kriterien und durch ihre ganz konkrete materiell-mediale Gestalt prägen. Aus dieser doppelten Perspektive entstehen Impulse sowohl für die editionswissenschaftliche Theoriediskussion als auch für medientechnologische und editionspraktische Lösungen, welche musterhaft die Modellierung, Erschließung und Darstellung in der Editorik vorantreiben können (LUKAS 2013).

Die hiermit skizzierte Breite des Themengebietes sowie die Vielzahl der beteiligten Fächer (10) machen deutlich, dass das Forschungsprogramm nicht in Form von unzusammenhängenden Einzeldissertationen umgesetzt werden kann, sondern der ideale Gegenstand eines auf eine breite, wirklich interdisziplinäre wissenschaftliche Diskussionskultur gegründeten Graduiertenkollegs ist. Die Vielschichtigkeit des interdisziplinären Zugriffs auf die drei Leitlinien ist in den konkreten Forschungsprojekten dadurch sichergestellt, dass Texte aus der Antike, der Vormoderne und der Moderne mit einem breiten Spektrum an Dokumenttypen und in unterschiedlichen Sprachen (und damit durchaus auch Zeichensystemen) behandelt werden. Der interdisziplinäre Dialog zu diesen Forschungsprojekten wird dadurch gewährleistet, dass neben der Informations- und Medientechnologie historische, philologische, kunsthistorische und philosophisch-theologische Fächer vertreten sind, die sich bereits seit 2011 im Rahmen des IZED kontinuierlich austauschen. Da in der zweiten Förderphase die Kunstgeschichte im Kreis der das Kolleg tragenden Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer vertreten ist, verfügt das Kolleg nun über eine fundierte Expertise für die von den Gutachtern der ersten Förderperiode favorisierte vertiefte Untersuchung von multimedialen Relationen (wie etwa den Bild-Text-Bezügen) und ihre editorische Umsetzung. Das Kolleg erwartet für diesen Bereich zudem Impulse durch die plan-mäßige Verstärkung des informationswissenschaftlichen Know-hows im Kreise der das Kolleg tragen-den Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer. Auch mit dieser erweiterten Ausrichtung setzt das Kolleg Akzente, die deutlich über die Laufzeit hinaus wirken werden, und formt das Forschungsparadigma im Bereich der Editorik sowie des editorischen Handelns nachhaltig.

Konkretes Forschungsprogramm und seine Umsetzung

Die Umsetzung der Forschungsidee im konkreten Forschungsprogramm orientiert sich an den drei Leitlinien Dokument, Text und Edition, denen die einzelnen Forschungsprojekte zugeordnet werden. Sie werden aus der Perspektive und durch die konkreten Fragestellungen der beteiligten Fächer geformt. In stetem interdisziplinärem Dialog werden davon ausgehend gemeinsame und übergreifende Fragestellungen erarbeitet und diskutiert. Durch die dialogische Spiegelung ergibt sich ein disziplinärer Mehrwert in Form einer gesteigerten Eigenwahrnehmung und Reflexion über die jeweilige Editionspraxis, fachspezifische Herangehensweisen, Prämissen und Lösungsstrategien. Ebenso ergibt sich ein transdisziplinärer Mehrwert für die Editionswissenschaft, die sich aus der bisher starken Dominanz einzelner Fächer und ihrer spezifischen Denkansätze lösen und transdisziplinär öffnen kann. In der ersten – noch stärker disziplinär geprägten – Phase des Kollegs standen vor allem die beiden Leitlinien ‚Dokument‘ und ‚Text‘ im Vordergrund, während die zweite Phase auf den Ergebnissen der ersten Phase aufbauend stärker transdisziplinär ausgerichtet ist und die Leitlinie ‚Edition‘ mit ihrer digitalen Dimension fokussiert.

Leitlinie 1 – Dokument: Was wird ediert?

Die Frage der ersten Leitlinie scheint banal, ist jedoch wesentlich für jede Edition: Was ist der eigentliche Gegenstand der Edition? Das zentrale Ziel von Editionen ist der aus Überlieferungsträgern editorisch konstituierte Text. Er existiert zunächst in seiner materiellen Form des konkreten Dokuments (GABLER 2007), des Textzeugen, realisiert durch Schreibmaterialien und Schreibstoffe auf Schriftträgern (GIURIATO/KAMMER 2006), durch Farbe auf Bedruckstoffen und farbiges Licht auf Bildschirmen, durch technisch fixierte Schallwellen auf akustischen Trägern (materieller Text), damit aber zugleich als Präsentation auf materiellen Trägern (PLACHTA 2007). Sie strukturieren Optionen der Ordnung und Darbietung von Text in medienspezifischer Weise immer schon vor und beeinflussen dadurch sowohl die Produktion als auch die Rezeption (medialer Text). Von der Materialität her gesehen sind es in langer historischer Perspektive vier Stufen, die Texte in Dokumenten durch medientechnologische Umbrüche idealtypisch durchlaufen können. Beginnend mit dem Autograph erfolgt durch die manuelle Kopie (die den Text eventuell zudem inhaltlich verändert) die erste Transformation. So werden oftmals textlichbildliche Sinneinheiten, Gliederungselemente u. ä. nicht überführt. Die Veränderung derartiger scheinbar nur marginaler Elemente konstituiert den Text in seiner Gesamtkomposition im Dokument neu. Die (vielfache) manuelle Kopie erzeugt einen fluiden Text. Der Ertrag einiger Dissertationen hat die Notwendigkeit deutlich gemacht, mediale Transpositionen sowie die Text-Bild-Relationen vertieft zu untersuchen, so dass dies in der zweiten Phase der Förderung zu einem Schwerpunkt in der Leitlinie Dokument werden soll. Die auf der Ebene der manuellen Kopistik leicht zu erkennende Fluidität des Textes wird durch den Druck scheinbar aufgehoben, da nun identische – oder, wie die Analytische Druckforschung nachweisen konnte, nur scheinbar identische (BOGHARDT 2008 u. 1977) – Exemplare eines Drucks entstehen können. Neuauflagen mit verändertem Druckbild, anderen Beigaben, anderen Anmerkungen und ähnlichen Umgestaltungselementen und ‚Weiterentwicklungen‘ treiben den Transformationsprozess weiter voran, wenn auch unter geänderten Bedingungen. Gleicht (in der Regel) ein Druckexemplar dem anderen, so hat doch zudem intermedial durch die Übertragung von der Handschrift in ein standardisiertes Format eine weitere Transformation des Textes stattgefunden. Das gilt ebenso für den (momentan) letzten Schritt, die Umwandlung in digitale Dokumente. Auch das digitale Dokument ist nicht lediglich die (Oberflächen-)Präsentation eines Textes, sondern unterwirft diesen zugleich einer Modellbildung (expliziert z. B. durch Auszeichnungen) und formt ihn damit neu. Daraus ergeben sich neue, zu reflektierende Möglichkeiten und Anforderungen digitalen Edierens (BOSSE/FANTA 2019). Im Zuge der prinzipiellen Trennung des Textes von seinen medialen Ausgaben und der notwendigen Unterscheidung von medienspezifischen vs. -generischen Merkmalen stellt sich der Editorin bzw. dem Editor anders als in der ‚Druckwelt‘ verstärkt die Aufgabe, einen Text – in seiner je historischen und gattungsspezifischen Gesamtheit – als eine modellierbare und logisch-hierarchisch strukturierbare Entität wahrzunehmen und ihn als eine solche – unabhängig von der konkreten Erscheinungsform im Zielmedium – zu modellieren und als codierte Daten zu (re-)präsentieren (SAHLE 2010).

Der Themenkomplex um das Dokument fragt daher anhand der verschiedenen existierenden Editionsmodelle sowohl in synchroner als auch diachroner Perspektive danach, welche Elemente aufgrund der jeweiligen fachspezifischen Erkenntnisinteressen aus den Konkreta der Überlieferung in eine Edition transportiert werden (können). Denn jede Edition ist nicht nur eine kritische Aufarbeitung, sondern als Ergebnis einer filternden Wahrnehmung immer auch eine Reduktion. Merkmale der konkreten Textzeugen wie Farbe, Beschreibstoff, graphische Gliederungen, mit dem Text verbundene Bilder, Relation von Buchstabengröße zu den Abmessungen des konkreten Beschreibstoffes und andere Informationen, die für die Rezeption des Textzeugen bei den Zeitgenossen entscheidend waren und auch heute sind, sind in eine Edition nur bedingt übertragbar (u. a. LUKAS 2010). Analog gilt dies für das Problem der adäquaten Modellierung und Repräsentation der für die Neuphilologien besonders wichtigen Handschriftentopographik in der Buch- bzw. digitalen Edition. Die Materialität der originalen Textzeugen und ihre möglicherweise dynamische Struktur kann in die Edition – trotz ihrer für das Dokument vielleicht entscheidenden Bedeutung – kaum adäquat transportiert werden (KOCHER 2019, RANFT 2003). Hier ist nicht zuletzt aufgrund der neuen digitalen Editionen nach den Bedingungen und Möglichkeiten der Integration nichttextlicher Elemente in Editionen und deren Transformierbarkeit in unterschiedliche Ausgabemedien zu fragen, möglichst unter Erhalt der unverzichtbaren Kontextinformation und des editorischen Zusammenhangs hinsichtlich Struktur, Layout und Inhalt.

Als Beispiele konkreter Dissertationsthemen, die als Arbeiten innerhalb des Kollegs abgeschlossen wurden, in Bearbeitung oder geplant sind, können genannt werden:

• Klassische Philologie/Geschichte: Schematische Darstellungen in Handschriften spätantiker Fachtexte. Lateinische und griechische Fachtexte der Spätantike werden in den Handschriften oft begleitet von schematischen Darstellungen der im Text behandelten Sachverhalte (Begriffsdihäresen, logische Strukturen von Syllogismen etc.), sei es in textu, sei es in margine. Es stellt sich die Frage, wie man derartige Darstellungen in einer Edition wiedergibt und wie man Divergenzen im Apparat kenntlich macht. Problematisch ist – wie bei allen Formen von Paratextualität – die Authentizität der Schemata. Hierüber soll durch eine Überprüfung der Text-Bild-Relation in exemplarisch ausgewählten Handschriften und Papyri Klarheit gewonnen werden. Dabei sollte nach Möglichkeit mit Hilfe der Kunstgeschichte auch die stilistische Entwicklung der Darstellungen untersucht werden.

• Ev. Theologie: Die Untersuchung bedeutender Codices und des in ihnen wiedergegebenen Textes sowie die Wiedergabe strukturierender Merkmale und intertextueller Bezüge bei der Edition biblischer Texte. Wie in der klassischen Philologie gewinnen die materialen Codices und graphische Elemente, Gliederungs- und Lesemerkmale sowie Inter- und Paratexte an Interesse. In der biblischen Edition zu erforschen sind die Eigenarten des Einzeldokuments. Zu reflektieren ist, wie Zusatzmerkmale, die früher keine Aufmerksamkeit fanden, editorisch am besten zu kodieren sind, wie sie sich von den frühen Handschriften an entwickelten und welche Aufschlüsse sie für den Editionsraum des Neuen Testaments ergeben. Nennen wir ein Merkmal: Neutestamentliche Handschriften zitieren Schriften Israels und markieren das, teils durch Ekthesis oder Spatien, manchmal durch die wenig bekannte Diplé (>). Die Konventionen sind ebenso zu untersuchen wie die Textform der Zitate. Abgeschlossene Arbeit: David Herbison („As It Is Copied: Textual Transmission of the New Testament Quotations of the Old Testament in Codex Washingtonianus“).

• Kunstgeschichte/Germanistik: Kritische Hybridedition zur internationalen Avantgardekunst. Am Beispiel ausgewählter, zentraler visueller, visio-textueller oder textueller Dokumente der klassischen Kunst-Avantgarde der 1910er und 1920er Jahre sollen Modelle zur Edition dieser kunstreflexiven Kommunikation mit einer inhärenten Bild-Text-Kommunikation wie etwa bei Kurt Schwitters erarbeitet werden. Gegenstand wäre in diesem Promotionsprojekt weniger die technische Lösung des vorliegenden Problems als vielmehr die theoretisch fundierte Beschreibung des er-wünschten editorischen Handelns in einer multimedialen Edition mit Blick auf den durch die Edi-tion bedingten Verlust von Dimensionen des Originaldokumentes.

Leitlinie 2 – Text: Welches Ergebnis hat die Wechselwirkung von Dokument und Edition?

Fokussiert die erste Leitlinie des Forschungsprogramms das Dokument als Gegenstand der Edition, so widmet sich die zweite Leitlinie dem auf den je differenten Textbegriffen basierenden Prozess der Überführung von Dokumenten in eine Edition, deren Resultat der Text als Produkt der Edition ist (HAGENEDER 2008; SCHIEFFER 2005). Der in dieser Leitlinie verfolgte Textbegriff sieht den (konstituierten) Text als Produkt der Edition und ist von einem fachspezifisch differenten Textbegriff, einem multiplen Textbegriff, zu unterscheiden, dessen Nuancen und Ausprägungen jedoch im Kolleg immer wieder Gegenstand der Diskussion waren und sein werden.

Denn der von Forscherinnen und Forschern des 19. bis 21. Jahrhunderts benutzte Text ist in den unterschiedlichen Fächern in der Regel nicht das Dokument, der konkrete Textzeuge, sondern das in einer Edition aufgearbeitete Dokument, der edierte Text. Dabei sind mindestens die folgenden Parameter entscheidend: die editorischen Vorstellungen des jeweiligen Faches, die zeitgenössischen editorischen Möglichkeiten sowie die unterschiedlichen Perspektiven auf das Material und das, was man unter ‚Text‘ versteht. Der durch die Edition anhand des Dokuments hergestellte, edierte Text führt zur Fixierung und Normierung der vom Editor geschaffenen Textgestalt: Die Edition schiebt sich zwischen die Forscherin/den Forscher und die konkreten Textzeugen/Dokumente. Sie entsteht – je nach Fach – jedoch unter ganz unterschiedlichen disziplinären Prämissen, die wiederum je historisch geprägt sind (NUTT-KOFOTH/PLACHTA: Bausteine 2005ff., SAHLE 2008). Gegenstand der Betrachtung müssen daher neben dem Gewinn an interpretatorischer Klarheit durch das editorische Handeln (Emendationen, Orthographie, moderne Typographie etc.) ebenso historische Veränderungen wie die Frage nach dem Verlust ästhetischer Qualitäten sein (FALK/MATTENKLOTT 2007). Die aktuellen Entwicklungen im Bereich der Digital Humanities bieten allerdings zunehmend Möglichkeiten, unterschiedliche Eigenschaften des Materials (einschließlich der sog. Paratexte in Dokumenten) neu in den Blick zu nehmen und Texte nach anderen Textbegriffen zu konstituieren.

Die beschriebene zweifache Abhängigkeit des edierten Textes von der Beschaffenheit des Textzeugen wie von den editorischen Vorgaben und theoretischen Prämissen soll in einer bewussten Verbindung von Theorie und Praxis untersucht werden, indem nach dem Zusammenhang von epochenspezifischen Rahmenbedingungen, editorischen sowie methodisch-theoretischen Traditionen in den Fächern und der konkreten Erscheinungsform des edierten Textes als deren Resultat gefragt wird (FUHR-MANN 1969). Die interdisziplinäre Herangehensweise fördert die Erkenntnis der jeweiligen Editionstradition und der fachspezifischen Editionsprämissen, die je nach Fach bislang mehr oder weniger expliziert wurden (NUTT-KOFOTH 2018, TARRANT 2016, KÖLZER 2014, WEIDNER 2007, NEUBER 2007 sowie für Protokolle als Quellengattung philosophischer Editionen jüngst BOHR 2019). Aufgrund der Abhängigkeit adäquater editorischer Konzepte vom konkreten Gegenstand, der sich immer weiter entwickelnden Möglichkeiten digitaler (Re-)Präsentation und des momentanen Forschungsstandes wird das Material für diese theoretische Reflexionsebene oft erst durch die editionspraktische Arbeit an den Projekten generiert werden müssen. Zugleich ist aber der Dialog der unterschiedlichen Fächer miteinander unabdingbar, um Spezifika der Fachtraditionen deutlicher zutage treten zu lassen, was in der ersten Phase des Kollegs besonders mit Blick auf die Klassische Philologie deutlich und fruchtbar wurde.

In Hinblick auf die kultur- und wissenschaftsgeschichtliche Wirkung von Editionen fragt das Kolleg im Rahmen der Leitlinie Text auch nach dem Zusammenhang von Edition und Kanonisierung von Texten (ROCKENBERGER/RÖCKEN 2011, KAMMER 2000). Wie steuern Editionen den Lektürekanon eines Faches? Welche Texte und Autoren erhalten wann und warum den Status, des wissenschaftlich und finanziell intensiven Unternehmens einer historisch-kritischen Ausgabe ‚würdig‘ zu sein? Welches Bild des Autors wird durch welche editorischen Verfahren konstruiert? Zu untersuchende Gegenstände sind hier etwa die Wahl der Textgrundlage (frühe vs. späte Hand), die Anordnung und Gruppierung der Texte und ihrer Genese oder die Auswahl und Darstellung von Varianten und Kommentierung. Ebenso soll in dieser Leitlinie der Bereich der (Re-)Gruppierung autoritativer Texte in der (Vor-)Moderne untersucht werden (z. B. Inschriften, Urkunden, Anweisungen, amtliche Schreiben, Hirtenbriefe etc.). Mit ‚Gruppierung‘ und ‚Regruppierung‘ kann in diesem Zusammenhang die (Neu-)Anordnung und (Re-)Kontextualisierung von originär selbständigen Texten innerhalb von Sammlungen (Gesetzessammlungen, Briefkorpora, Anthologien etc., am Beispiel der Briefe Papst Clemens’ IV. THUMSER 2005 u. 1995, bes. S. 153f.), von originär unselbständigen Texten in sekundären Zusammenhängen (Lemmazitate in Kommentaren, Centonen etc.) und von erst editorisch konstituierten Sammlungen (z. B. Inschriftensammlungen) erfasst werden. In diesem Kontext wäre auch das epochenübergreifend auftretende Phänomen der ‚Collected Works‘ als eigenes Textgenre zu untersuchen, das besonders anschlussfähig für den Einsatz von Verfahren des Text Mining sowie der Computerphilologie ist und damit ganz neue Bearbeitungsperspektiven für Editionen eröffnet. Beispiele konkreter Dissertationsthemen sind:

• Philosophie: Zur Produktion philosophischer ‚Klassiker‘ und zu ihren Editionsbedingungen um 1900. Die Dissertation widmet sich dem Aspekt der Kanonbildung und seiner Wechselwirkung. Im Zentrum der Forschungsarbeit werden Fragen zur Konstituierung von Texten durch die Auswahl des Dokuments (Handschrift, kanonische Edition) sowie die Analyse der neuen Produktionsbedingungen und wissenspolitischen Kontexte der ‚Klassiker‘-Reihen stehen. Ziel einer Dissertation ist der Nachweis einer zu vermutenden Verschränkung dieser externen mit internen Faktoren (Geltungslogik philosophischer Argumente) für die Konstitution philosophischer Klassiker. Abgeschlossene Arbeiten: Anne Wilken („Kant als Klassiker der Philosophie. Zur Produktion philosophischer ‚Klassiker‘ und zu ihren Editionsbedingungen um 1900“).

• Evangelische Theologie/Geschichte/Klassische Philologie: Konjektur- und Emendationspraxis im disziplinspezifischen Vergleich. Das Promotionsprojekt soll editorische Normen bzw. Modelle/Verfahren des Edierens bei Konjekturen und Emendationen in den beteiligten Fächern explizieren und im interdisziplinären Vergleich die Folgen für den edierten Text beschreiben. Das Ziel ist dabei keine Wertung der fachspezifischen Vorgehensweise, sondern eine Untersuchung der Prägung des edierten Textes durch Vorannahmen im Kontrast zum Befund der konkreten Überlieferungsträger.

• Germanistik/Digital Humanities/Elektronische Medien: Annotation, Kommentar und Grenzen der Edition. Durch den digitalen Wandel verschwimmen die scheinbar klaren Grenzen zwischen ediertem Text und dem mit ihm vernetzten Wissensraum zunehmend. Die Dissertation sollte diese Aufweichung zum Ausgangspunkt nehmen und sich einer Theorie der Entgrenzung und Vernetzung von Editionen annehmen.

• Data & Knowledge Engineering/Philologie: „Visual Analytics für Textanalyse“: Visual Analytics nutzt interaktive Visualisierungen, um die analytischen Fähigkeiten des Menschen (z. B. schnelle Erkennung von Mustern und Trends, Nutzung von Erfahrungswerten) mit computergestützten Methoden zur effizienten Analyse großer Datenbestände zu kombinieren. Die Dissertation untersucht die Anwendbarkeit von Visual-Analytics-Methoden zur Unterstützung konkreter editorischer Anwendungsfälle für Textanalyse, die in Zusammenarbeit mit anderen Kollegmitgliedern definiert wer-den.

• Medientechnologie/Data & Knowledge Engineering: Genre-basierte Dokumentenmodelle für das mehrkanalige Publizieren in der Editionswissenschaft. Die Arbeit widmet sich (im Anschluss an BATEMAN 2011) mit editionswissenschaftlichem Fokus Fragen der Repräsentation von Varianten und Einbettung von Dokumenten eines Genres in verschiedene Zieldokumente und in verschiedene Zielausgaben (Print, Smartphones, Tablets, E-Book-Reader). Eine rein XML-basierte Umsetzung der Dokumentenmodellierung für die im Kolleg benutzten Genres und ihre testbare Integration in die Editionswerkstatt sind das Ziel dieses Vorhabens.

Leitlinie 3: Edition – von fachspezifischen Erkenntnisdifferenzen zu den Potenzialen einer transdisziplinären Editorik

Standen in den ersten beiden Leitlinien der Editionsgegenstand und seine spezifische Behandlung im Sinne der Textkonstitution sowie die doppelte Abhängigkeit des edierten Textes von den Anforderungen des Dokuments und den editorischen Vorgaben im Zentrum des Interesses, so ist der dritte Themenkomplex des Forschungsprogramms Edition den fachübergreifenden Theoriebausteinen einer inter- oder gar transdisziplinären Editorik gewidmet. Er baut damit in der thematischen und chronologischen Entwicklung des Kollegs auch auf Ergebnisse der ersten Förderphase auf.

Eine disziplinsensitive Untersuchung der Bedingungen und des Wandels der Editionstheorie wie der Editionspraktik hat bisher weder fachübergreifend noch theorieorientiert auf breiterer Ebene stattgefunden. Im steten Dialog der beteiligten Fächer war und ist daher nach deren jeweiligen editorischen Prozessschritten und Prinzipien zu fragen. Diese gezielte Fremdwahrnehmung soll nicht nur zu einer differenzierten Eigenwahrnehmung der Fächer führen, sondern es sollen auch fachspezifische Differenzen klarer benannt werden. So ermöglicht beispielsweise ein philosophisch-theologisch motivierter und hermeneutisch ausgerichteter Ansatz, die im Kolleg erörterten medien- und wissenschaftstheoretischen sowie historischen Wandlungs- und Deutungsprozesse zu reflektieren und in den Forschungs-rahmen einer transdisziplinären Editorik einzubetten. In diesem Zusammenhang werden die hermeneutischen Grundfragen nach dem Zusammenhang von Vorverständnis im Rückblick auf das Dokument, von Interpretation im Blick auf dessen Textualität und Bildlichkeit und von Relevanz für Kanonisierungsprozesse behandelt.

Darauf aufbauend wird ferner ein – durch die Erfahrungen der ersten Förderperiode mit einer kolleginternen Plattform als Diskussions- und Reflexionsformat als Desiderat sichtbar gewordener – Prototyp zu einem fachübergreifenden editionswissenschaftlichen Baukasten erarbeitet werden, der auf einem in allen beteiligten Fächern auf demselben Niveau reflektierten Verständnis von Editionen und Zielformaten gründet. Dieses Anliegen wird zudem durch das fortgeschrittene, im begleitenden Rahmen des Kollegs situierte Projekt einer editionswissenschaftlichen Bibliografie in Datenbankform unterstützt.

Hinzu kommt, dass eine fachübergreifende Abbildung disziplinärer Anforderungen auf die digitale Dokumentenproduktion, die einen viel größeren Möglichkeitsraum als die Druckwelt bietet, zu neuen Perspektiven und theoriefähigen Ergebnissen führt, die Insellösungen für einzelne Editionen nicht einfach nur technisch verdoppeln. Daher stellt die konsequente Benennung, Kategorisierung und Beschreibung der konkreten Auswirkungen der einzelnen Prozessschritte editorischer Arbeit, vor allem in Hinblick auf die neuen Möglichkeiten digitaler Editionen, eine erst jüngst in Angriff genommene (SAHLE 2013) und nun zu vertiefende editionswissenschaftliche Aufgabe dar. Einen Schwerpunkt bildet die Ablösung neuer Editionsformen vom Paradigma des gedruckten Buches. Das impliziert zum einen die Frage, wie die einzelnen – sowohl objekt- und überlieferungs- als auch fachspezifischen – philologischen Konzepte und Modelle digital adäquat in formalen Sprachen (wie etwa XML/TEI oder explizit semantischen Standards) abgebildet werden können: Eine ‚Umsetzung‘ erfordert stets eine grundlegende Re-Konzeptualisierung und Re-Modellierung. Der Medienwandel ist zum anderen im Hinblick auf eine möglichst ausgabeinvariante Portionierung von Inhaltsstücken und der zugehörigen Navigation zu betrachten. Viele makronavigatorische Gewohnheiten im Umgang mit gedruckten Büchern als klassischem editorischem Zielformat – ein Buch nehmen, aufschlagen, sich als Leserin und Leser orientieren mit Inhaltsverzeichnissen, Glossaren, Kapitelüberschriften, unterschiedlichen Fußnotentypen etc. – bleiben strukturell auch in elektronischen Publikationsformaten erhalten, stellen sich aber anders dar und werden anders realisiert (ANSI/NISOZ39.86-2005; EPUB-Spezifkationen zuletzt für EPUB3). Im mikronavigatorischen Bereich – Zeilen verfolgen, lokal bei Bildern und Tabellen verweilen etc. – werden viele technische und gestalterische Innovationen das ‚Editionserlebnis‘ reichhaltiger machen. Dazu gehören insbesondere die Möglichkeiten, Quell- und Analysedokumente auf unterschiedlichste Art und Weise in elektronisch publizierbare Zielformate zu integrieren. Gleichzeitig soll die Funktion und Relevanz des Graphical User Interface, der Benutzerschnittstelle, stärker fokussiert wer-den – insbesondere im Verhältnis zum Daten(bank)kern der digitalen Edition (BLEIER 2018). Somit wird der Blick sowohl auf den digitalen Medienwandel als auch auf Aspekte einer breiteren theorieorientierten allgemeinen Editionswissenschaft gerichtet (GABLER 2010). Hierzu gehört ebenso ein fundamentaler Perspektivenwechsel von der Edition als Ausgabe zur Edition als codiertem Informationsbestand, der immer als anschlussfähiges und vernetztes Set an Bausteinen eines umfassenden Wissensraumes gedacht wird. Editionen sind in dieser Perspektive nicht nur implizit, sondern inzwischen auch technisch explizit Teile eines größeren Ganzen. Beispiele konkreter Dissertationsthemen sind:

• Elektronische Medien: Modellierung des druck- und medientechnologischen Workflows zur Erzeugung editorischer Finalprodukte. Da mit der Ablösung vom Zielformat ‚Buch‘ auch traditionelle Arbeitsteilungen zwischen Inhalts- und Druckentscheidungen hinfällig werden, ist die Erzeugung elektronischer Dokumentenkorpora (wie z. B. eBooks) mit nach wie vor möglichen Druckderivaten (etwa in ‚Auflage 1‘) aus den im Kolleg erarbeiteten Inhalten neu zu definieren. Diesem Ziel dienen ingenieurwissenschaftliche Dissertationen zur Definition geeigneter Workflows.

• Digital Humanities/Germanistik: Zur Relation von Medienspezifik und Transmedialität in digitalen Multimedia-Editionen. Erst das digitale Medium erlaubt die Aufhebung der Fixierung auf Volltext-Dokumente und die Integration von nicht-schriftsprachlichen Texten – audio- und audiovisuelle Texte – im Rahmen einer (kritischen) Edition. Im Zuge der digitalen Bearbeitung werden die Differenzen der Dokumentklassen sowohl auf der Ebene der generischen Modellierung (XML) als auch physikalisch (Bits und Bytes) einerseits neutralisiert – und müssen andererseits aber doch gerade im Hinblick auf ihre medienspezifischen Inhaltsarchitekturen explizit gemacht werden. Im Rahmen einer Dissertation wäre diese ‚Dialektik‘ systematisch zu reflektieren.

• Germanistik/Digital Humanities: Digitale Textgenetik. Die neuen Möglichkeiten der Modellierung und Visualisierung komplexer textgenetischer Verhältnisse im digitalen Medium werden zwar zu-nehmend in der Forschung diskutiert (vgl. BOSSE/FANTA 2019), es fehlt bislang aber eine systematische, sowohl theoretische als auch medienhistorische Untersuchung zur (medienspezifischen) Relationierbarkeit der drei konstitutiven Parameter textgenetischer Rekonstruktion: der überlieferten archivalischen Einheiten (Dokumente), der konstituierten temporalen Einheiten sowie der textuellen Einheiten (die je nach makro-/mikrogenetischer Perspektive in ihrer Transformation jeweils betrachteten Ausschnitte).

• Medientechnologie/Philologie: Synchronisation von textlichen und nichttextlichen Daten in Editionen. Zu erarbeiten sind nach einer Anforderungsanalyse Werkzeuge zur Edition textlicher Teildokumente (z. B. Libretti von Musiktondokumenten, Texte von Hörspielen, gesprochene Texte in Tonfilmen) aus dominant nichttextlichen und oft auch nicht druckbaren Dokumenten mit dem Ziel einer genrespezifischen Bereitstellung der für solche Texte unverzichtbaren Kontextinformation durch geeignete Synchronisationen mit nichttextlichen Quelldaten (Partiturauszüge, Screenshots, Einstellungen, Visualisierung von Äußerungssituationen etc.). Das Synchronisationswerkszeug soll auf Basis gegebener XML-Anwendungen und Scriptsprachen realisiert und für Literaturverfilmungen und komplexe Hörspielanwendungen prototypisch erprobt werden. Aktuell in Bearbeitung: Bastian Politycki („Kritische Audioedition am Beispiel des O-Ton-Hörspiels So eine Freiheit von Paul Wühr“).

Verwendete (Literatur-)Verweise zum Stand der Forschung

ANSI/NISOZ39.86-2005 (R2012) Specifications for the digital talking book. National Information Standards Organization, daisy.niso.org.

BATEMAN 2011: John A. BATEMAN, Multimodality and Genre – A Foundation for the Systematic Analysis of Multimodal Documents, London, Reprint 2011.

BEIN 2010: Thomas BEIN, Die Multimedia-Edition und ihre Folgen. Zum Verhältnis von Literaturgeschichtsschreibung, Literaturtheorie und aktueller Editionspraxis in der germanistischen Mediävistik, in: editio 24 (2010) S. 64-78.

BISCHOFF 2005: Frank Martin BISCHOFF, Fachliche Ansprüche und wirtschaftliche Rahmenbedingungen im Archiv: Wie können moderne Massenakten der Forschung zugänglich gemacht werden, in: Brigitte MERTA/Andrea SOMMERLECHNER/Herwig WEIGL (Hg.), Vom Nutzen des Edierens. Akten des internationalen Kongresses zum 150-jährigen Bestehen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, Wien, 3.-5. Juni 2004 (MIÖG Egbd. 47), Wien/München 2005, S. 157-169.

BLEIER 2018: Roman BLEIER u. a. (Hg.), Digital Scholarly Editions as Interfaces (Schriften des Instituts für Dokumentologie und Editorik 12), Norderstedt 2018.

BOGHARDT 1977: Martin BOGHARDT, Analytische Druckforschung. Ein methodischer Beitrag zu Buchkunde und Textkritik, Hamburg 1977.

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