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Oliver Glaser

Raum: L.11.19
Telefon: 0176 - 647 220 46
E-Mail: glaser[at]uni-wuppertal.de
Anschrift:
Bergische Universität Wuppertal
Gaußstr. 20
42119 Wuppertal

Forschungsprojekt


Die Kompilation und der Diskurs. Heiratsregeln und verwandtschaftliches Wissen in fränkischen Multi-Text-Handschriften (750–1050)

In meinem Projekt untersuche ich ein ausgesprochen auffälliges Phänomen mittelalterlicher Textualität. Kompilationen, also Zusammenstellungen verschiedener teils äußerst heterogener Texte, sind ein Charakteristikum der gesamten lateinischen Buch- und Textkultur des europäischen Mittelalters von 500 bis 1500. Viele Texte der poströmischen, überwiegend lateinisch schreibenden Kulturen sind innerhalb von „Sammelhandschriften“, von „Multi-Text-Büchern“, von „Miszellanhandschriften“ überliefert. In diesen Handschriften befinden sich dann Texte ganz verschiedener Zeiten und Kulturen – im Prinzip von der römischen Antike bis zu den verschiedenen Kulturen poströmischer Gesellschaften. Umso erstaunlicher ist es, dass dieser Praxis der Buch- und Textproduktion bislang kaum Beachtung geschenkt worden ist: Historische Erkenntnisentwicklung wird bis heute fast ausschließlich am isoliert betrachteten Text vollzogen. Bei der Entwicklung geschichtswissenschaftlicher Narrative und bei der Beschreibung und Analyse historischer, sich schriftsprachlich vollziehender Diskurse spielt die Tatsache, dass Texte häufig innerhalb von Textgemeinschaften überliefert sind, kaum eine Rolle. Dass kompilatorisches Arbeiten sowohl in der Kombination vorgefundener Texte und Textauszüge als getrennte (oder zumindests als einzelne identifizierbare) Einheiten im Dokument als auch bei der Erfindung neuer in sich kohärenter Textstrukturen beobachtet werden kann, deutet darauf hin, dass es sich bei der Praxis der Textzusammenstellung (Kompilatorik) um ein kreatives Entwurfs-, Ordnungs-, Erkenntnis- und Argumentationsverfahren handelt. Bei der Analyse historischer Diskurse müssen diese Zusammenstellungen ein zentraler Beobachtungsgegenstand sein.

An verschiedenen Handschriftencorpora werde ich 1. Erscheinungsformen und Funktionen kompilatorischen Arbeitens in der fränkischen Manuskriptkultur beschreiben; 2. Deutungsmöglichkeiten und Erkenntnishorizonte von Kompilationen für die geschichtswissenschaftliche Forschung herausarbeiten; 3. Den editorischen Umgang mit kompilatorischen Text-Medien, das heißt einerseits mit Multi-Text-Dokumenten und andererseits mit Textschöpfungen von stark kompilatorischem Charakter, erproben.

Die verschiedenen Handschriftencorpora dienen jeweils verschiedenen Fragestellungen meines Projektes. So werde ich an einem nach thematischen Gesichtspunkten erstellten Corpus (Inzestverbote und Verwandtschaftliches Wissen) untersuchen, wie die kompilierende Art der Textaneignung zur Verbreitung, Verdichtung und Vermittlung normativen Wissens verwendet wurde. An Rekonstruierten historischen Bibliotheken (wie z.B. der Bibliotheca Laureshamenses) lässt sich einerseits ein Bild darüber gewinnen, wie groß das Phänomen Multi-Text-Handschrift einerseits und kompilatorische Arbeitsweise andererseits innerhalb eines exemplarischen Produktions- und Aufbewahrungsort ist. An einem Textsorten-Corpus (z.B. dem der karolingischen Kapitularien) können Ordnungsprinzipien – die letztlich auch zur Textsorten-Konstitution führten – und Prozesse der Wissensverknüpfung untersucht werden.

Biographie


Ich habe Geschichte und Germanistik (mit den Schwerpunkten Mittelalterliche Geschichte und Ältere deutsche Literaturwissenschaften) an der Goethe-Universität Frankfurt am Main studiert und 2018 mit dem Abschluss Magister Artium abgeschlossen.

Während dem Studium habe ich an der Professur Mittelalterliche Geschichte mit ihren Perspektiven in der Gegenwart bei Bernhard Jussen als studentische Hilfskraft gearbeitet (2014 – 2018). Für Dr. des. Daniel Föller habe ich am Exzellenzcluster Normative Orders gearbeitet (2015 – 2017). Des Weiteren war ich studentische Hilfskraft und Mitglied der Studiengruppe Historisches Bildwissen (2015 – 2017).

Nach meinem Studium habe ich an der Professur Mittelalterliche Geschichte mit ihren Perspektiven in der Gegenwart zwei Projekte als Wissenschaftliche Hilfskraft bearbeitet (2019). Mit Dr. Tim Geelhaar habe ich das Projekt „Referenzcorpus narrative Texte des Mittelalters“ bearbeitet und gemeinsam mit Bernhard Jussen das Projekt „Posteurozentrismus“. Seit September 2019 bin ich Mitglied des DFG-Graduiertenkollegs „Dokument – Text – Edition“ und bearbeite hier mein Dissertationsprojekt „Die Kompilation und der Diskurs“.

Forschungsinteressen


Als Mediävist liegen meine Forschungsschwerpunkte in der Normen- und Wissensgeschichte der lateinischen Textkulturen zwischen 500 und 1500 und in der kulturwissenschaftlichen Erforschung von Handschriften. Mein derzeitiges Forschungsinteresse gilt der Erforschung normativer Diskurse unter besonderer Berücksichtigung ihrer medialen Manifestationen im Multi-Text-Medium.

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